Im re-empowerment Forum: „Narzissmus muss draußen bleiben“

[Bei dem Nachstehenden handelt es sich um eine Kopie unserer Forums-Info zum Thema Narzissmus]

 

Leider verbreitet sich der Irrglaube „Narzissmus = Hintergrund von Misshandlung in der Partnerschaft“ zunehmend stärker; oft in Verbindung mit weiteren Fehlinformationen rund um die Narzisstische Persönlichkeitsstörung.

„Narzissmus“ ist zunächst ein unklarer bzw. mehrdeutiger Begriff:

Mehrdeutigkeit und Vagheit 

Obwohl Narziss schon früh neben Ödipus als zweite zentrale Ikone der Theoriebildung durch Freud eingeführt wurde, ist die psychoanalytische Narzissmustheorie, zumal in ihrer postfreudianischen Entwicklung bis in die Gegenwart, nicht einheitlich. Hinter dem psychoanalytischen Narzissmusbegriff verbergen sich zahlreiche umstrittene Konzepte und Behandlungsansätze.[11] So kann einerseits ein geradezu inflationärer Gebrauch des Begriffs in Alltag und Wissenschaft bemerkt werden, während andererseits keine Einigkeit über dessen konzeptionelle Grundlage besteht. Tatsächlich wird die wissenschaftliche Verwendbarkeit des Begriffs aufgrund seiner Vagheit gelegentlich in Frage gestellt.[12] Übereinstimmung besteht vor allem in Hinsicht auf Symptomlage und Äußerungsformen einer narzisstischen Störung bzw. Pathologie.[11]

Quelle: Wikipedia

Im re-empowerment Forum wird die Verwendung dieses Begriffs seit 2010 unterbunden und es gehört zu den Aufgaben der Unterforen-Moderation, diesen Begriff bei Verwendung zu entfernen.

 

Warum ist „Narzissmus“ hier tabu? – Vier Gründe

Grund #1 – damit 98% der Frauen im Forum nicht fehlinformiert werden

Im Zusammenhang mit Partnerschaftsgewalt wird der Narzissmus-Begriff meist im Sinne einer (idR vermuteten) Narzisstischen Persönlichkeitsstörung verwendet. Diese Annahme ist in 98% der Fälle falsch.

Die Prävalenz (Auftretenshäufigkeit) von Persönlichkeitsstörungen bei „Männern im Sinne dieser Seite“ (auch: Täter, Misshandler) unterscheidet sich nicht von der Prävalenz in der Normalbevölkerung. Das bedeutet: von 100 Tätern haben nicht einmal zwei diese Diagnose. Die restlichen 98 sind nicht als „Narzissten“ zu bezeichnen.

Selbstverständlich gibt es zahlreiche Menschen, deren Persönlichkeit eine entsprechende Akzentuierung aufweist. Allerdings erlauben weder das Vorhandensein noch das Ausmaß einer solchen Akzentuierung einen Rückschluss darauf, ob es sich bei dieser Person um einen Mann im Sinne dieser Seite handelt.

Grund #2 – Das tatsächliche Problem wird verkannt

Ein Mann im Sinne dieser Seite ist ein Gewalttäter. Bei re-empowerment geht es um Gewalt. Ja, dieser Begriff ist hässlich. Da hängen lauter Vorurteile und Stigmata dran. Unterschichtenthema. Talkshow und Reality-TV. Eher bäh und definitiv etwas, was nicht in die eigene Welt gehört. Und außerdem wird frau ja nicht geschlagen. Oder zumindest fast nie. Oder nur geschubst. … Es gibt eine Vielzahl von Gründen, warum Betroffene ihr Erleben nicht nur nicht als Gewalt erkennen können, sondern es auch lange nicht (wahrhaben) wollen, dass sie Gewalt erleben.

Wer das eigene Erleben als Gewalt anerkennt, kommt nicht umhin, vielen anderen schmerzhaften Wahrheiten ins Gesicht zu sehen: Der Partner ist ein Gewalttäter. Gewalt und Liebe sind nicht vereinbar. Gewalt hört nicht von selber auf. Man selbst ist „Gewaltopfer“. Die unzähligen Vorurteile. Scham.

„Narzissmus“ klingt da viel besser. Krankheit impliziert, dass Heilung möglich ist. Der Partner ist krank, man selber ist von jeder Schuld freigesprochen. Einen Kranken verlässt man nicht. Loyalität und stoisches In-Kauf-Nehmen. „Die Arme ist mit einem Narzissten verheiratet“ klingt sehr viel besser als „misshandelte Frau, die trotzdem bleibt“. Also beliest man sich über „Narzissmus“, das Angebot nimmt ja auch beständig zu (dessen Qualität verläuft diametral). Das Internet ist diesbezüglich eine reichhaltige Fundgrube (durchaus. v.a. an hanebüchenem Unsinn).

Ja, „Narzissmus“ ist definitiv appetitlicher als „Gewalt“. Fatal daran: der Holzweg ist ne Sackgasse. „Gewalt“ erfordert „Ausstieg“. „Narzissmus“ verstrickt.

Wir wissen um die Plausibilität, die dem Konzept auf den ersten Blick anheim ist und zu Laiendiagnosen verleitet. (siehe Punkt #1: in 98% der Fälle falsch). Wir wissen aber vor allem um dessen Gefährlichkeit, das tatsächliche Problem zu verschleiern und einen Ausstieg aus der Gewaltspirale dadurch zu verhindern.

Grund #3 – Irreführung mit negativen Folgen für Gewaltopfer

Nicht nur verhindert eine Identifikation mit dem Narzissmus-Thema den Ausstieg aus einer Gewaltbeziehung; die aktive Verwendung bedeutet, dass die Betroffene etwas verbreitet, was nicht stimmt. Gerade im Umgang mit Jugendämtern, Gerichten und Gutachtern ist dieser Begriff ein schnell geschossenes Eigentor. Der ex kann sich im Übrigen problemlos höchstoffiziell bestätigen lassen, dass keine entsprechende Störung bei ihm vorliegt. Glaubwürdigkeit adé.

Grund #4 – Diskreditierung von Menschen mit einer psychischen Störung

Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind keine einfachen Mitmenschen. Aber das legitimiert noch lange nicht, sie mit Gewalttätern gleichzusetzen. Diskreditierung von kranken Menschen: wollen wir hier nicht.

 

Punkte #1 bis #4 gelten auch für den Begriff „Borderline“.

Die Prävalenz der dissozialen Persönlichkeitsstörung ist zwar gut doppelt so hoch wie die der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung, so dass von 100 Tätern immerhin zweieinhalb als „Soziopath“ diagnostiziert würden. Sowohl im Netz als leider auch inzwischen in etlichen Büchern werden die Diagnosen/Begriffe oft gleichgesetzt oder willkürlich vertauscht, teilweise werden auch andere psychische Störungen mit verwurstet.

 

Weder ist es unsere Absicht, einer Frau ihre persönliche Wahrnehmung abzusprechen noch können oder wollen wir Teilnehmerinnen unsere Ansichten aufzwingen. Die Entfernung von Diagnosen und mit Diagnosen assoziierten Begriffen erfolgt im Interesse und zum Schutz gewaltbetroffener Frauen