Mehr als nur cholerisch: Verbale Gewalt in Form von toxischer Wut und Wutausbrüchen

Die Wut (in gehobener Sprache auch lat. Furor) ist eine sehr heftige Emotion und häufig eine impulsive und aggressive Reaktion, ausgelöst durch eine als unangenehm empfundene Situation oder Bemerkung, z. B. eine Kränkung. Wut ist heftiger als der Ärger und schwerer zu beherrschen als der Zorn. Wer wütet, zerstört blindlings. Wer häufig in Wut gerät, gilt als Wüterich. (…)

Unter Wutanfall versteht man einen, meist kurzzeitigen, partiellen oder völligen Verlust der Kontrolle über das Gefühl der Wut (affektiv). Die Wutanfälle richten sich gegen Personen, Tiere, Institutionen oder auch Sachen, haben oft einen konkreten Auslöser, der aber nicht zwangsläufig identisch mit dem Ziel der damit verbundenen Attacke sein muss. Der Wutanfall wird auch als Überreaktion bezeichnet und gilt deshalb in den meisten Kulturkreisen als Charakterschwäche. Analog gilt es oft als Charakterstärke, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, sondern die Contenance zu wahren, bzw. kühl (englisch: „cool“) bleiben.

Prinzipiell kann in Ausnahmesituationen und unter starkem Stress jeder Mensch einen Wutanfall erleiden, wobei jedoch eine Neigung zu solchen bei Erwachsenen als cholerisch gilt. Bei Kleinkindern gehören Wutanfälle in einer bestimmten Phase zur psychischen Entwicklung.

Wutanfälle sind auch typisch für einige psychische Störungen wie beim Hospitalismus/Deprivationssyndrom, auch bei Autismus (Kanner-Syndrom bzw. Asperger-Syndrom). Hier treten Wutanfälle außergewöhnlich oft, überdurchschnittlich lang und oft auch sehr intensiv auf. Auch bei geistig Behinderten kommt es leichter zu Wutanfällen, da deren Fähigkeit zur Kontrolle und Verarbeitung so starker Emotionen oft eingeschränkt ist.

Ein Wutanfall kann (absichtlich oder unabsichtlich) provoziert werden. Dazu genügen oft schon kleine Reizworte oder Handlungen, die für sich genommen eigentlich keine Bedeutung hätten. Die Redewendung „Jemanden auf die Palme bringen“ beschreibt dies bildlich. Neben dem externen Auslöser gibt es auch die Möglichkeit, sich selbst in einen Wutanfall zu steigern.

Quelle: Wikipedia: Wut

Patricia Evans widmet dem Thema Wut in ihrem Buch „Worte die wie Schläge sind“ ein eigenes Kapitel, obgleich die von ihr beschriebene toxische/destruktive Wut zu den „typischen Strategien“ verbaler Misshandlung gehört.

Toxische Wut

Viele Betroffene empfinden/erleben zunehmende Ohnmacht im Angesicht der Wutanfälle ihres „Partners“. Er schreit, brüllt und beschimpft sie; sie schweigt, zieht sich in sich selber zurück und hat oft nur noch einen Wunsch: Dass es aufhört.

Derartige Wutanfälle sind destruktiv und feindselig. Sie hinterlässt Gefühle der Demütigung, des Versagt-Habens und der Hoffnungslosigkeit.

Es gehört zu jeder Beziehung, dass Menschen sich unabsichtlich verletzen oder verunsichern. Kommunikation ist notwendig, um derartiges zu klären und gemeinsam darauf hinzuarbeiten, dass unabsichtliche Kränkungen/Verletzungen in der Zukunft vermieden werden. Dieses Ziel lässt sich nicht durch Wutausbrüche erreichen, sondern durch konstruktive Dialoge. Hierbei muss ein „Wutausbruch“ sich nicht zwangsläufig durch „rumbrüllen“ äußern. Viele Misshandler entladen ihre Wut mit ruhiger Stimme und sezieren dabei Schnitt für Schnitt das Verhalten bzw. die Person der Partnerin.

Wenn Du unter den immer häufiger auftretenden, in Intensität zunehmenden Wutausbrüchen Deines „Partners“ zu leiden hast oder hattest, wird/wurde Dir vermutlich von ihm vermittelt, dass es Deine Schuld sei, dass er wütend wurde. Dass Du ihn wütend „gemacht“ hast, durch Dein „Fehlverhalten“. Typische Aussagen in diesem Zusammenhang sind z.B.

  • Dich muss man anschreien, anders begreifst Du es nicht.
  • Dein Verhalten hat mich so verletzt, ich musste meinem Ärger Luft machen.
  • Stell‘ Dich nicht so an, nur weil ich mal meine Stimme erhoben habe.
  • Du hast den Fehler gemacht, dann musst Du auch die Konsequenzen tragen.
  • Das wäre alles nicht passiert, wenn Du (nicht) … getan/gesagt hättest.

Toxische Wut ist irrational. Erklärungen sind zwecklos.

Auch in normalen/gesunden Partnerschaften kann es passieren, dass ein Partner wütend wird, sich Wut ggf. auch in einem Ausbruch entlädt. In einer normalen Partnerschaft wird es im Anschluss an einen Ausbruch allerdings möglich sein, verbindlich über die Hintergründe und Auswirkungen zu kommunizieren. Auf Misshandlungsbeziehungen trifft dies meist nicht zu:

Toxische Wut ist meist irrational. Dennoch fühlt sich der Misshandler meist im Recht, berechtigt, seine Frustration und seine Wut über der Partnerin zu entladen. Viele Betroffene versuchen anfangs nahezu verzweifelt, herauszufinden, was die Wut des „Partners“ ausgelöst hat, sie möchten verstehen. Sie möchten lernen, was ihn verletzt, um derartige Ausbrüche zukünftig vermeiden zu können. Selbst wenn der Misshandler ein derartiges Gespräch nicht blockiert oder zu einem weiteren Streit führt, führen die Bemühungen der Partnerin nur selten zu Verständnis und langfristiger Verbesserung des Miteinanders. Meist versuchen Betroffene, die Entwicklung der Situation oder ihr Aggressions-auslösendes Verhalten zu erklären. Dies ist aussichtslos.

Wie entsteht toxische Wut?

Es gibt keine universell gültige Antwort die auf jeden Misshandler zutrifft. Patricia Evans bietet ein allgemeiner gehaltenes Erklärungsmodell:

Der „Partner“ unterliegt einer starken inneren Spannung, die unterschiedliche Gründe haben kann: Seine Gedanken, Veränderungen seiner Lebensumstände (z.B. im Job), seine Gefühle: Gefühle von Machtlosigkeit, Ohnmacht, Ängste, Inadäquatheit und/oder Abhängigkeit (er IST in hohem Maße von Dir abhängig).

Diese Spannung steigert sich immer weiter, da er vermutlich nicht in der Lage ist, seine Gefühle differenziert wahrzunehmen und auszuhalten. Stattdessen spürt er nur die „dumpfe“ Spannung.

Irgendwann kommt es dann zur Entladung. Oft wird diese Entladung dann erfolgen, wenn es auch einen angeblichen Grund für diese Attacke gibt; – in DEINEM Verhalten. Egal ob es nun die Zahnpastatube, der Abwasch, die Noten der Kinder oder einfach nur Dein Schweigen ist. Es ist völlig egal, was Du tust oder wie Du Dich verhältst, er wird einen Auslöser finden, seine Wut auf Dich abladen, und anschließend wieder entspannter sein.

Du bist der Punchingball, an dem er seine aufgestaute Frustration abreagieren kann.

Was sind die Folgen toxischer Wut?

Der ausgelebten, toxischen Wut des Misshandlers ausgesetzt, ausgeliefert zu sein Ist oft traumatisierend: Ohnmacht, Hilflosigkeit, Nicht-Glauben-Wollen, Verzweiflung; eine Vielzahl negativer Gefühle brechen über die Partnerin ein. Hinzu kommt eine große Verwirrung, da sie immer wieder versucht, sich das Verhalten ihres „Partners“ zu erklären, zu verstehen, warum es zu diesen Ausbrüchen kommt.

Da dieser meist alles in seiner Macht stehende aufwendet, um IHR die Schuld an seinem Verhalten zuzuschieben, wird SIE sich letztendlich zumindest mitschuldig fühlen, und immer bedachter auf ihr eigenes Verhalten sein, um irgendwie all die kleinen „Fehler“ zu vermeiden, die seine Wut auslösen. Hieraus resultiert eine Dauerspannung, sie ist ständig auf der Hut, bloß nichts Falsches zu sagen. Sie kontrolliert ihre Mimik, ihr gesamtes Verhalten.

Parallel muss die Partnerin eines Misshandlers beinahe ihre gesamte Energie, Kraft und Stärke aufwenden, um seine verbale Gewalt zu ertragen. Sie setzt somit ihre eigene Kraft gegen sich ein, nur um eine Situation, die von außen gesehen völlig unhaltbar und inakzeptabel wäre, auszuhalten; während er seine Kraft dazu einsetzt, sie zu misshandeln. Sie hält weiter aus, in der Hoffnung, dass es besser wird. Dass er wieder zu dem Mann wird, in den sie sich damals verliebt hat.

Es wird nicht besser. Der Traumprinz war eine Illusion.

Es wird schlimmer. Seine Ausbrüche werden letztendlich immer weiter an Destruktivität zunehmen. Er braucht die Entladung, und er braucht das begleitende Machtgefühl, sie so behandeln zu können, wie er es tut. So wie viele Junkies ihre Dosis immer weiter erhöhen müssen, um die gleiche Wirkung der Droge zu erzielen, so wird er die Intensität seiner Ausbrüche steigern müssen, um ein Entspannungsgefühl zu erreichen.

Der andauernde Druck, die immer häufiger und intensiver stattfindende Gewalt zerstört die Betroffene. Um auszuhalten, muss sie sich immer weiter von ihren Gefühlen entfernen, von ihrer eigenen Lebensenergie. Nicht nur ihre Vitalität verkümmert, auch ihre Libido. Folge: ihr sexuelles Interesse nimmt immer stärker ab. – Und schon hat er einen weiteren „Angriffspunkt“ gefunden, eine weitere fadenscheinige Begründung, warum SIE ihn frustriert, – und natürlich wieder einmal Schuld an seinen Ausbrüchen ist.

Sicherlich ist er tatsächlich frustriert, schließlich „entzieht“ sie ihm nicht die Sexualität innerhalb der Beziehung (die er meist für eines seiner „Grundrechte“ hält). Da es der Betroffenen aber häufig nicht möglich ist, ihrem „Partner“ klarzumachen, dass seine Gewalt der Grund für die Abnahme ihrer körperlichen Zuneigung ist, wird er ihr das Gegenteil vermitteln: Dass sie frigide sei, und letztendlich schlichtweg „verkehrt“.

Und so sucht sie weiter. Nach Erklärungen, nach Hoffnung, und letztendlich auch nach Punkten in ihr selbst, die seine Wut erklären könnten. Dabei ist es völlig egal, wie sie ist. Er ist feindselig und unfähig, sich selber auszuhalten.

Egal wie er es dreht und wendet, egal wie gut er Dir seine Meinung „verkauft“ und/oder aufzwingt; es ist nicht Deine Schuld. Derartige Wut ist irrational, feindselig und auf allen Ebenen zerstörerisch.