Panische Angst vor Trennung: Gewalt produziert extreme Verlustangst

Das schwerste an der Trennung von einem misshandelnden „Partner“ ist die Entscheidung ihn zu verlassen. Allein der Gedanke an Trennung löst bei etlichen Betroffenen panische Angst aus, die weit über Verlustangst hinausgeht.

Interviews für Berichte über häusliche Gewalt beginnen fast immer mit der unvermeidlichen Frage, warum misshandelte Frauen sich nicht trennen. (Ich wurde noch _nie_ als erstes gefragt, warum „Partner“ Gewalt ausüben!)

Betroffene werden das auch gefragt, von Freundinnen, Familie, Kolleginnen. Wird die Frage retrospektiv gestellt und die Gefragte ist inzwischen getrennt, ist einer der am häufigsten genannten Gründe „Abhängigkeit“. Typische Reaktion auf diese Antwort: ungläubiges Kopfschütteln. Da wundert es wenig, dass eine noch in der Beziehung steckende Frau, sich nicht in ihrer Abhängigkeit zeigen wollen wird.

Betroffene schämen sich ob dieser Abhängigkeit, und werden viel zu oft auch von Außenstehenden dafür beschämt, „trotz Gewalt so abhängig zu sein“. Denkfehler: die Abhängigkeit von einem Misshandler ist nicht „trotz dessen Gewalt“ immens, sondern durch Gewalt. Gewalt bewirkt, dass jeglicher Gedanke an Trennung die Betroffene in einen Zustand panischer Angst versetzt, der klares Denken unmöglich macht.

Trennungs-Hindernis Abhängigkeit

„ich kann nicht ohne ihn leben“

Vielleicht sollten wir einige Texte auf dieser Website mit großen roten Warn-Schildern versehen. “Erschütterungs-Gefahr! Auf initiale Erleicherung wird unweigerlich Entsetzen folgen!” Warum? Weil etlichen Betroffenen erst bei der Lektüre schlagartig bewusst wird, nicht “Beziehungsprobleme” zu haben sondern GEWALT zu erleben. BÄM! Fragen und Abgründe tun sich auf: Der einstige Traummann ein Gewalttäter, dem es vor allem um Macht geht?! Wo bleibt da Liebe, wo Hoffnung?! Trennung als alleinige Option, keine Chance für ein Happy End?!

Ihr Körper reagiert: PANIK! Weil: “ich kann nicht ohne ihn leben!”.

Das ist nicht so dahergesagt, sondern wird oft buchstäblich ganz genau so erlebt. Abhängigkeit in Reinform.

Diese Abhängigkeit sorgt dafür, dass ein Ausbruch von vornherein als unmöglich erachtet wird. Weil beim Gedanken an Trennung Panik einsetzt. Von jetzt auf gleich wird das gesamte Bewusstsein mit quälendsten Entzugssymptomen geflutet.

Da nützt es wenig, zu hören, dass es keine Aussicht auf Besserung gibt, dass Bleiben zwangsläufig bedeutet, weiter gequält zu werden und langsam daran zugrunde zu gehen. Akute Panik ist immun gegen logische Argumente und Vernunft.

Abhängigkeit verteidigt sich nicht nur mit Zähnen und Klauen, sie besteht darauf, wichtiger zu sein als alle anderen Instinkte.

Auf den Spuren der Abhängigkeit

Gewaltbeziehungen beginnen nicht mit Gewalt. Sondern mit Liebe. Der hyperlativen Hollywood-Liebe. Monate reinster und rauschhafter Glückseligkeit. Volldampf voraus in eine gemeinsame Zukunft die Deine kühnsten Träume noch übertrifft. Mit Deiner großen Liebe, Deinem Traummann. Dr. Jekyll.

Dein gesamtes System, also Hirn, Körper, Herz, Geist und Seele werden dabei wieder und wieder von Endorphinen geflutet. Über Wochen und Monate, ein Fix nach dem Anderen. Genau so entwickelt sich jede Sucht. Mit dem Unterschied, dass es sich bei Dir um körpereigene Glückshormone handelt. Deren Ausschüttung aber nicht aus Dir selber heraus erfolgt, sondern durch den Partner.

Die Gewaltspirale beginnt: Mikroangriffe

Die Entwicklung einer Gewaltbeziehung folgt einer Spirale

Gewaltbeziehungen folgen einer spiralförmigen Entwicklung

 

Während in “normalen” Beziehungen allmählich ein Beziehungsalltag entsteht und das Paar sich kooperativ “zusammenrauft”, rollt in einer Gewaltbeziehung der Ball in die nächste Phase der Gewaltspirale: Mikroangriffe.

Wir haben diesen Begriff gewählt als Bezeichnung für mehrdeutige Attacken deren mittel- und langfristiges Ziel die Schaffung eines Machtungleichgewichts in der Beziehung ist. Unmittelbares Ziel dieser Angriffe ist eine Schwächung der Betroffenen. Und zwar indem immer wieder kleine Kinken in Ihre Stabilität, ihre Wahrnehmung, ihr Selbstvertrauen und ihr Selbstbild gehauen werden.

Mikroangriffe sind gezielte Akte psychischer Gewalt-

Wirkung eines Mikroangriffs

Mikroangriffe sind perfide und hinterhältig. Obwohl absichtlich eine schwächende Verletzung zugefügt wird, findet das Ganze auf eine Art statt, die dafür sorgt, dass das Verletzt-Sein keine Würdigung und natürlich auch keine “Heilung” erfährt. Nicht nur wird Dir Dein Verletzt-Sein abgesprochen, sollte da irgendwie eine Verantwortung zu übernehmen sein, dann gehört die ganz klar zu Dir.

De facto bist Du aber verletzt. Und erschüttert. Weil da gerade etwas passiert ist, was so überhaupt nicht zu ihm und zu Euch passt. Dein Bild von Euch als Paar hat einen Riss bekommen oder zumindest einen hässlichen Fleck.

Mikroangriff + Abhängigkeit = Verlustangst

Die vergangenen Wochen und Monate strahlenden Liebesglücks bewirkten, dass es Dir extra gut ging, daraus wurde ein “mir geht es super, weil unsere Beziehung so wundervoll ist”. Was Dir sicherlich nicht bewusst ist/war, ist dass sich dabei eine Abhängigkeit ausgebildet hat: Dein Wohlbefinden ist nunmehr an Deine Beziehung gekoppelt.

Und jetzt ist etwas passiert, was nicht mit “unsere Beziehung ist wundervoll” vereinbar ist. Deine Beziehungssicherheit wurde erschüttert. Mit direkter Auswirkung auf Dein Wohlbefinden. Du erlebst Verlustangst, – die Du aber nicht als Verlustangst erkennen wirst.

Resultat: Mehr Abhängigkeit für Dich, mehr Macht für ihn

Da “Beziehungssicherheit” kritisch für Dein Wohlbefinden ist und diese aufgrund der “Nicht-Thematisierbarkeit des Vorfalls” nur durch das Erleben von Harmonie wiederhergestellt werden kann, bist Du darauf angewiesen, dass Dein Partner für traute Zweisamkeit zur Verfügung steht.

Sprich: Du wirst abhängiger. Und er gewinnt an Autonomie. Deine Position wird geschwächt, seine gestärkt.

Jeder Mikroangriff produziert diesen Effekt.

Deine Verletzungen werden nicht geheilt und summieren sich auf. Deine Abhängigkeit nimmt immer weiter zu. Das Machtungleichgewicht auch.

Die Spirale dreht sich weiter. Deine Ressourcen schwinden. Deine Abhängigkeit wächst mit.

Das Ringen mit der Abhängigkeit

Jegliche Annäherung an das Thema “Trennung” beschwört automatisch die Erinnerung an die einstige Zeit der Glückseligkeit, an Dr. Jekyll. Trennung wird gleichgesetzt mit Verlust von Dr. Jekyll, was alle Symptome der Abhängigkeit auf den Plan ruft.

“Trennung” als Option wird erst in dem Maß denk- und aushaltbar, in dem es Dir gelingt, den Fokus weg von Dr. Jekyll und auf Mr. Hide zu richten. Doch das ist verdammt schwer, denn mit diesen beiden Seiten verhält es sich ebenso, wie mit den zwei Seiten einer Münze: Du kannst jeweils nur eine sehen. Und darum verblasst das erlebte furchterregende, grausame und verachtende Gesicht Deines „Partners“, sobald ihr physisch getrennt seid.

… Fortsetzung folgt

(inkl. Tipps, wie frau beim Ringen mit der Abhängigkeit sukzessive die Oberhand gewinnen kann)

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