Typische Merkmale einer Gewaltbeziehung

oder

Wenn dies Deinen Lebensalltag beschreibt, bist Du hier (leider) richtig

Nachfolgend – „typische“ Muster innerhalb von Gewaltbeziehungen. Wahrscheinlich kommt Dir das ein oder andere bekannt vor, oder Dir fallen Episoden aus deiner Beziehung ein, die dem Beschriebenen ähneln. Du bist nicht allein – viele Frauen erleben mit ihrem „Partner“ das gleiche.

 

„Nur hinter geschlossenen Türen“

Oder auch: Das „Jekyll und Hyde Syndrom“. Übergriffe erfolgen fast ausschließlich nur dann, wenn Du mit Deinem „Partner“ alleine bist. In der Öffentlichkeit behandelt er Dich völlig normal, vielleicht sogar übermäßig freundlich und liebevoll; – und ändert sein Verhalten genau in dem Moment, wenn ihr alleine seid.

Geheimhaltung ist ein Schlüssel zu seiner Machtausübung und erfüllt viele Zwecke:

  • Sein Image als „netter Mann“ wird nicht gefährdet.
  • Gemeinsame Bekannte werden der Betroffenen (zunächst) nicht glauben, oft glauben ihr sogar ihre eigenen Freunde und Familienangehörige nicht.
  • Die Betroffene fängt an, ihrer Wahrnehmung zu misstrauen.
  • Die Betroffene gibt sich unter Umständen selber die Schuld an den Übergriffen ihres „Partners“; – schließlich ist er zu allen anderen Menschen nett und freundlich.Die Wechsel zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde können binnen Sekunden erfolgen, manchmal auch während Ihr das Haus voller Gäste habt

 

“Unverhofft kommt oft“

Häufig erfolgen Übergriffe nahezu unerwartet. Die Folgen:

  • Da es keine Vorwarnungen gibt, lebt die Betroffene in ständiger Anspannung.
  • Die Partnerin „läuft auf Zehenspitzen“ und „legt jedes Wort auf die Goldwaage“.

Beides führt dazu, dass die Betroffene ihre Spontaneität und ihre Natürlichkeit verliert. Auf ihr Umfeld wirken Betroffene dadurch zunehmend gekünstelt und „unecht“.

Oft werden Misshandlungen durch unwesentliche Kleinigkeiten ausgelöst: ein „falscher Blick“, vermeintliches Augenrollen, fehlendes Nicken im richtigen Moment. Der Misshandler fühlt sich berechtigt, seine Partnerin zu bestrafen. Betroffene merken immer weniger, dass ihr Verhalten die Reaktionen des Misshandlers keineswegs rechtfertigt.

 

Er zieht Dich „runter“

Viele Betroffene geben an, dass verletzende Interaktionen / Übergriffe vor allem dann stattfinden, wenn es augenscheinlich gut ging, wenn sie glücklich oder einfach nur zufrieden waren. Die Folge: Die Betroffene hat Angst, in Gegenwart ihres „Partners“ gut gelaunt oder gar glücklich zu wirken. Häufig führt dies im Zeitverlauf zu Vorwürfen wie:

  • „Du bist ständig schlecht gelaunt“
  • „In Deiner Gegenwart muss man ja schlechte Laune kriegen.“
  • „Es ist kein Wunder, dass niemand mehr etwas mit Dir zu tun haben will“
  • „Du ziehst mich runter, also verbringe ich meine Zeit lieber mit Frauen, die nicht ständig so eine Fresse ziehen.“

 

Wiederholung

Oft ähneln sich verletzende Interaktionen/Übergriffe, bzw. haben das gleiche Grundthema: i.d.R. die Themen/Punkte, die „funktionieren“ insofern als dass sie die größte Wirkung haben in Bezug auf Verletzung/Destabilisierung bzw. Provokation. „Funktioniert“ ein Thema nicht mehr, wird oft ein Neues gesucht.

 

Keine Reue. Keine „Wieder-Gut-Machung“.

Sofern Du die ersten Übergriffe nicht klaglos hinnimmst, folgt ihnen meist ein Auftauchen von Dr. Jekyll: intensive Reue-Bekundungen und großes Bemühen um Wiedergutmachung und Beziehungserhalt, Beschwörungen Eurer großen Liebe, die nur diese kleine Hürde überwinden muss: Dr. Jekyll ist der Mann, nach dem Du süchtig wurdest und bist, sein Wiederauftauchen macht es nahezu unmöglich, den Mann, der gleichzeitig so grausam war, zu verlassen. Das Auftauchen der Jekyll-Seite Deines Partners entfacht immer wieder die Hoffnung, dass vielleicht doch alles gut werden könnte. Diese Hoffnung, dieser Rausch und die buchstäbliche Gier nach mehr überstrahlt alles; insbesondere das Erkennen, dass Du längst nicht mehr die Geliebte eines Dr. Jekyll bist, und stattdessen Mr. Hyde einen festen Platz in Deinem Leben eingenommen hat.

Der Misshandler gewinnt zunehmend an Sicherheit, dass sein Verhalten keine ernstzunehmenden Konsequenzen haben wird. Daher kann er darauf verzichten, die Anstrengung aufzubringen, die die Jekyll-Rolle verlangt. Er hat ein Gesprür dafür, was das Mindestmaß an Reumütigkeit ist, das er an den Tag legen muss; – und das ist genau das Ausmaß an Reue, Zuwendung, Schmeichelei, Romantik und/oder Nähe, das nötig ist um sicher zu gehen, dass Du ihn nicht verlässt.

In normalen Beziehungen ist es üblich, Verletzungen zu entschädigen. Wiedergutmachung findet statt. Der Verletztende bittet die Verletzte um Entschuldigung, übernimmt die Verantwortung für sein Verhalten, spiegelt die Partnerin in ihrem Schmerz und verspricht, sie für diesen Schmerz zu entschädigen. So wird Verzeihen möglich.

Das Leben mit Jekyll und Hyde bzw. zunehmend ohne Jekyll aber mit Hyde läuft nach anderen Regeln. Verletzung wird nicht ausgeglichen, nicht thematisiert, gespiegelt und geheilt; die zugefügten Verletzungen werden vielmehr begraben unter einer Fuhre leerer Versprechungen und Lippenbekenntnissen. Obgleich der Misshandler zunächst versucht, sich von seiner besten, strahlendsten und verheißungsvollsten Seite zu zeigen, ist er keinesfalls bereit, sich mit den Folgen seines Verhaltens auseinanderzusetzen. Er will, dass der Zustand „vorher“ wiederhergestellt wird. Anstelle von Wiedergutmachung durch Integration strebt er danach, das Geschehene ungeschehen zu machen. Es soll nie passiert sein. Du sollst es vergessen. Das negiert jegliche Möglichkeit der Auseinandersetzung und Verarbeitung. Stattdessen ist der Preis, den Du für den kurzen Auftritt von Dr. Jekyll bezahlst, dass Du Deinen Schmerz herunterschluckst, die entstandene Verunsicherung alleine aushältst und die Atmosphäre nicht durch Traurigkeit oder Angst belastest.

Es liegt jetzt an Dir, immer schneller mit immer mehr Verletzungen fertig zu werden. Verzeihen wird zur Forderung. Du hast keinen Recht, Deinen Schmerz zu verbalisieren. Ich habe mich doch entschuldigt! Was willst Du noch?!“. Du lernst, dass es besser ist, Deinen Schmerz gar nicht erst wahrzunehmen. Das, was von Dir bleibt, lernt, dass es „gute Gefühle“ gibt und „schlechte Gefühle“. Während Du das Fühlen verlernst und und stattdessen aufgesetzte Gestimmtheit lebst, entgleitet Dir die Wahrnehmung dafür, was ist. Deine zur Schau getragene Gestimmtheit ist auf ihn ausgerichtet. Du hast keinen Kontakt zu Deinen Gefühlen, stattdessen verfeinern sich Deine Antennen dafür, wie es in ihm aussieht. Während Dein ICH immer kleiner und unmerklicher wird, nimmt sein SEIN den freigewordenen Platz in Deiner Wahrnehmung und Deinem Befinden ein.

Wenn es Dir sehr viel leichter fällt, auf die Frage „Wie geht es Dir“ damit zu antworten, wie es Deinem „Partner“ geht, ist das ein Zeichen dafür, dass nicht mehr Du selbst Dein Zentrum bist, sondern er.

 

Isolation

Die Betroffene ist häufig sozial isoliert. Der Isolationsprozess wird in einem anderen Bereich dieser Seiten noch genauer erklärt. Isolation erleichtert es dem Misshandler nicht nur, Kontrolle über sein Opfer auszuüben, es wiegt ihn auch in Sicherheit, dass sein Außenimage nicht dadurch geschädigt wird, dass andere von seinem Verhalten erfahren. Siehe auch: Hinter geschlossenen Türen.

 

Eine Realität: Seine

Ein weiteres, häufiges Muster ist, dass der „Partner“ bestimmt, was „ist“, er legt die Realität fest, in der beide leben; auch wenn „ihre“ Realität oft eine ganz andere ist. Er sagt ihr, wer oder was sie ist, denkt und fühlt; er sagt ihr das gleiche über andere Menschen; und vor allem sagt er ihr, was zwischen den beiden geschieht. Einen anderen Menschen zu definieren ist übergriffig.

 

Quod licet Jovis: Wenn zwei das gleiche tun ist es natürlich nicht das selbe.

Der Misshandler nimmt für sich mehr und andere Rechte in Anspruch, als der Betroffenen zugebilligt werden. Insbesondere wäre es undenkbar, dass sie es wagt, ebenso mit ihm umzugehen, wie er mit ihr.