Die große Liebe. Nicht.

Wir danken der Autorin für die Erlaubnis zur Erstveröffentlichung.    Interview für einen Artikel in Audimax

Mit Liebe hat das nichts zu tun: Gewalt in Bildungsnahen Schichten.

Wie haben Sie Ihren Freund, der Ihnen später Gewalt zugefügt hat, kennengelernt und wie ist die Liebes-Beziehung anfangs verlaufen?

Wir haben uns am Valentinstag 2008 durch gemeinsame Freunde kennen gelernt. In den ersten Jahren haben wir eine Fernbeziehung geführt. Zu Beginn – vor allem in den ersten sechs Monaten der Beziehung – war alles superlativ und toll. Die große Liebe schlechthin. Er schien genau der Typ Mann zu sein, den ich mir immer als Partner gewünscht hatte: Charmant, emanzipiert, sanft, kreativ, humorvoll, ein toller Zuhörer, konnte sich sehr gut in mich hinein fühlen und las mir jeden Wunsch von den Augen ab. Es gab Blumen, Champagner, Besuche in der Oper, romantische Spaziergänge. Bilderbuch-Liebe. Kurzum: Alles schien perfekt zu sein, offenbar schon zu perfekt.

Liebe die zu Gewalt wird beginnt mit Liebe

Der ultimative Honeymoon. Bild: hsfelix | www.depositphotos.com

Gleichzeitig gab es aber auch damals schon kleine, unterschwellige Angriffe. Ich konnte diese oft nicht benennen, hatte aber meistens ein komisches Bauchgefühl. Er konterte dann damit, dass ich dies und jenes falsch verstanden hätte, zu sensibel sei oder einfach keinen Humor hätte.

Welchen Bildungshintergrund hat Ihr Freund?

Mein Exfreund ist Film- und Werbekomponist. Er kommt aus einer Musikerfamilie. Seine Eltern haben selbst lange Zeit an großen Opernhäusern im Orchester gespielt und ihn bereits im Alter von zwei Jahren an den Flügel gesetzt. Seine Eltern schreiben außerdem selbst musikwissenschaftliche Bücher und geben Musikunterricht. Sein Bruder ist ebenfalls Musiker. In der Familie wird viel Wert auf Intellekt und Bildung gelegt.

Wann sind Sie – zurückblickend – erstmals Opfer von psychischer oder physischer Gewalt geworden, ohne möglicherweise dies damals bewusst so erlebt zu haben?

Ich denke, dass ich bereits in meiner Sozialisierung zur Frau erstmals Opfer von psychischer Gewalt wurde. Wenn ich laut und aggressiv wurde, gingen meine Eltern restriktiver mit mir um als zum Beispiel mit meinem Bruder. In der Schulzeit war ich zusätzlich lange Zeit über psychischer Gewalt, also Mobbing, durch meine MitschülerInnen ausgesetzt. In meiner Partnerschaft gab es von Anfang an Gewalt. Das war für mich damals aber nicht als Gewalt zu identifizieren, weil ich hierfür kein Bewusstsein hatte und diese deshalb nicht benennen konnte.

Wenn Liebe und Gewalt irgendwie immer gleich sind.

Liebe oder Gewalt – nur erkennbar wenn bekannt. Bild: Khakimullin | www.depositphotos.com

Meistens geschahen diese Mikroangriffe in Situationen, in denen eine große Vertrautheit zwischen uns bestand. Immer wenn ich mich sicher in unserer Liebe fühlte, sagte er gewisse Dinge, hatte eine merkwürdige Intonation oder eine bestimmte Mimik, die mich verunsicherte und ein ungutes Gefühl im Bauch verursachte. Durch dieses Vorgehen wurde ich zunehmend unsicherer und deswegen auch instabiler. Das machte mich immer mehr von ihm und seiner Zuneigung und einer Bestätigung seiner Liebe für mich abhängig.

Wie äußerte sich diese Gewalt anfangs und wie verstärkte sie sich im Laufe der Zeit?

Am Anfang waren es bestimmte Sprüche, manchmal auch als Witze getarnt. Er zog mich immer wieder mit blöden Bemerkungen auf, machte abwertende Sätze über mein Aussehen, wertete mich auf der anderen Seite aber auch immer wieder extrem auf. Er machte mir unglaublich viele Komplimente. Dadurch fühlte ich mich anfangs wirklich noch wie auf Wolke 7, die Liebe seines Lebens. Die kleinen Angriffe brachten mich jedes Mal durcheinander, aber es blieb gar keine Zeit für eine Klärung, weil mein Exfreund sofort wieder alles abstritt oder verharmloste. Dadurch dachte ich tatsächlich, dass es an mir – an meiner Empfindlichkeit, meiner Unsicherheit, meinem fehlenden Humor – liegen würde und übernahm immer mehr die Verantwortung.

Nach etwa einem halben Jahr war dieser superlative Honeymoon dann abrupt vorbei. Ich hatte einen neuen Job bei einer großen Werbeagentur begonnen und musste auch noch täglich zwischen zwei Städten pendeln. Wenn ich abends nachhause kam, rief mein Exfreund mich an und drangsalierte mich mit seinen eigenen Problemen am Telefon. Es war sehr aufreibend und ich hatte oft keine Kraft mehr, um mich nach so einem langen Tag noch zu streiten. Er verwickelte mich immer wieder in schier endlose Diskussionen, die sich immer und immer wieder um die gleichen Themen drehten und nie zum Punkt kamen. Es war furchtbar anstrengend und der reinste Psychoterror. Ich begann ernsthaft, die Beziehung in Frage zu stellen.

Liebe wird zu Telefonterror

Psychoterror via Telefon. Bild: Rakov83 | www.depositphotos.com

Zugleich glaubte ich an unsere Liebe füreinander, dachte ich an die romantische, tolle Anfangszeit zurück und war mir sicher, dass dies nur vorübergehend sein würde. Wenn wir uns dann zwischendurch sahen, war alles wieder schön und entspannt – ein Festival der Liebe – und gab mir dann die Bestätigung für meine Entscheidung, diese Liebe natürlich nicht aufzugeben.

Ich suchte mir Ausreden und Entschuldigungen dafür, dass es zwischen den Besuchen oft nicht so toll lief. Immer häufiger dachte ich, dass die Ursache die große berufliche Belastung sei. Während ich selbst im Vertrieb tätig war, ist mein Exfreund selbständig gewesen und jobbte noch in einem Hostel. Oder ich ging davon aus, dass es die große Entfernung sei und der Umstand, dass wir uns so selten sehen konnten, der für den Stress ursächlich war. An seiner Liebe für mich zweifelte ich nie.

Dann gab es wieder ein kurzes Revival der Anfangszeit, etwa wenn wir zusammen in den Urlaub fuhren. Es war ein häufiger Wechsel zwischen Super-Romantik, Liebes-High und zehrendem Stress. Ich fühlte mich sehr für das Gelingen der Beziehung verantwortlich und war viel zu geduldig. Trotz allem war mein Exfreund damals noch in vielen Hinsichten toll. Wir konnten uns gut unterhalten, er kochte jedes Mal für mich, wir unternahmen viel zusammen und er blieb sogar völlig ruhig, wenn ich mal laut wurde. Es gab also keine Anzeichen dafür, dass er zu körperlicher Gewalt neigen würde. Zugleich brachte er mich subtil immer mehr in Abhängigkeit von ihm und seiner Wahrnehmung. Er kritisierte immer stärker mein Aussehen, meine Frisur, meinen Bekleidungsstil, meine Kochkünste, meine Familie, meine Freunde, meine Berufswahl, meine sexuellen Vorlieben und noch vieles mehr. Ich wurde immer unsicherer und ließ es immer weiter zu, mir von ihm Vorschriften machen zu lassen. Damals dachte ich noch, ich hätte einen besonders tollen Freund gefunden, weil er mit mir shoppen ging und mich „beriet“, weil er mir dabei half, einen besseren Job zu finden, weil er für mich kochte usw.

Rückblickend war es ein zunehmender Kontrollverlust über mein eigenes Leben. Ich gab die Definitionsmacht über mein Leben und mich immer mehr an ihn ab, vertrauend auf die uns verbindende Liebe. Und ich ließ es auch immer wieder zu, dass er meine Grenzen überschritt. Auch wenn ich ihn mehrmals bat, mich nicht während der Arbeitszeit anzurufen, tat er dies immer und immer wieder.

Das Ganze lief dann so weiter bis wir nach 2,5 Jahren beschlossen, zusammen zu ziehen.

Dies war ein entscheidender Wendepunkt in der Beziehung. Vor dem Umzug hatte er noch vorgegeben, sich sehr darüber zu freuen. Schon während des Umzugs war die Stimmung sehr eisig und unterkühlt. Es war sehr stressig und wir stritten uns oft. Kaum in seiner Wohnung eingezogen, ließ er mich mit all den Möbeln und Kisten allein. Während er sich anderweitig beschäftigte, habe ich ganz allein sämtliche Möbel in der Wohnung zurecht gerückt, alles ausgepackt und eingerichtet.

Aus Liebe wurde Psychoterror

Während ich in einem neuen Job anfing, wurde mein Exfreund von einem Tag auf den anderen „depressiv“. Er lag von morgens bis abends nur noch im Bett, vernachlässigte sich, seine Arbeit und den Haushalt. Ich fühlte mich komplett allein gelassen und hatte Angst, das nach außen zu tragen. Stattdessen bezahlte ich selbst alle Rechnungen, erledigte die Einkäufe, kochte, umsorgte ihn voller Liebe – neben einer Arbeitswoche von 45 bis 50 Stunden. Ich bat ihn mehrmals, sich psychologische Hilfe zu holen. Doch statt selbst Verantwortung für seine Situation zu übernehmen, verlangte er, dass ich das für ihn machen solle. „Wenn ich ihn liebe, wäre das normal“.

Liebe, Depression und Feindseligkeit

Depression oder Feinseligkeit? Bild: nejron | www.depositphotos.com

Liebe als Gewaltmittel: Suiziddrohungen

Zwischendurch drohte er mit Suizid. Für mich wurde es zunehmend schlimmer. Auf der Arbeit dachte ich fortlaufend an ihn und war immer weniger bei mir und in meinem eigenen Leben. Meine ganze Konzentration und Energie richteten sich darauf, ihm zu „helfen“ und mir Sorgen zu machen. Dass die Liebe meines Lebens Suizid begehen könnte war ein permanentes Damoklesschwert.

Liebe und Selbstbetrug

Ich erfand Ausreden. Vielleicht war das ja nur, weil wir gerade zusammen gezogen sind und uns erstmal daran gewöhnen mussten.

Liebe oder Ausrede

Liebe oder Ausrede? Bild: khakimullin | depositphotos.com

Wie schon in den Jahren zuvor verwickelte er mich immer wieder in anstrengende Diskussionen, die sich immer nur im Kreis drehten und nie zu einem konkreten Ende führten. Immer wieder ging es dabei um seine berufliche Situation. Obwohl wir die Entscheidung fürs Zusammenziehen und für meinen Job gemeinsam getroffen hatten, machte er mich nun dafür verantwortlich, ihm nicht genügend zu helfen. Aus Angst, Verantwortung und Liebe beschloss ich, meinen Job auf eine Teilzeitstelle umzustellen, stattdessen ein neues Studium neben dem Beruf anzufangen und meine verbleibende Zeit zu opfern, um ihn beruflich zu unterstützen. Dies war ein weiterer Schritt, mit dem ich meine Autonomie und meine Unabhängigkeit aufgab.

 Aus Liebe wurde Gewalt

An einem Morgen begleitete mein Exfreund mich – wie so oft – auf dem Fußweg zur Arbeit und begann erneut eine anstrengende Diskussion über seine berufliche Perspektive. Aus Müdigkeit und Stress unterbrach ich ihn brüsk. Mir tat mein Verhalten sofort leid und ich bat ihn um Entschuldigung. Als ich die Situation am Abend ansprach, um mich erneut zu entschuldigen, gab er mir eine heftige Ohrfeige.
Ich war völlig schockiert und überrumpelt. Er entschuldigte sich sofort und meinte, dass dies ein Versehen gewesen sei. Dies war der Anfang eines 1,5-jährigen Alptraums.

Was als Liebe beginnt, endet oft tödlich.

Es begann als Liebe.
Bild: Subbotina „Scream“ | depositphotos.com

Die Gewalt wurde zunehmend zur Routine. Aus der ersten Ohrfeige entwickelten sich immer häufigere und immer gewalttätigere Übergriffe. Er begann, mich zu würgen, zu schlagen, zu boxen, zu bespucken, zu treten, zu vergewaltigen und noch einiges mehr. Ich versuchte immer wieder, zu entkommen. Doch das hatte zur Folge, dass er mir den Weg versperrte, mir mit Mord und Suizid drohte, versuchte mich umzubringen, mich grün und blau schlug oder andere Strategien einsetzte, um mich vor dem Gehen zu hindern.

„Ich liebe Dich. Es passiert nie wieder“

Zwischen den Gewaltausbrüchen zeigte er sich reumütig, beteuerte seine große Liebe zu mir, war zärtlich und aufmerksam. Er lud mich zum Essen ein, streichelte mich, sagte immer wieder, wie sehr er mich liebe, dass er nun aufhören wolle, wie leid es ihm täte, machte mir Geschenke. Ich war viel zu beschämt, um mit jemandem darüber zu sprechen, was mir angetan wurde. Immer noch dachte ich, dass es meine Schuld sei und war der Überzeugung, ohne ihn, die Liebe meines Lebens, nicht lebe zu können. In Wahrheit war ich völlig ohnmächtig und hatte Todesangst. Meine Aufmerksamkeit war permanent auf meinen Exfreund gerichtet. Ich musste spüren, ob und wann mir wieder Gefahr drohen konnte. Dadurch konnte ich mich gar nicht auf mich selbst konzentrieren. Die Übergriffe waren so heftig, dass mein Gehirn alles sofort wieder vergaß und verdrängte. Vor allem dachte ich auch, was wohl andere sagen würden, wenn sie erfahren würden, was mir angetan wird. Ich fühlte mich seltsam beschmutzt und war voller Schamgefühl. Schließlich war ich doch sonst eine selbstbewusste und erfolgreiche Person.

Was waren Auslöser dieser Attacken?

Ich kann nicht sagen, was meinen Exfreund zu seiner Gewalttätigkeit getrieben hat. Er übertrug die Schuld ja ständig auf mich und nahm es zum Anlass, wenn ich beispielsweise mit den Augen rollte, etwas „falsches“ gesagt habe, wenn ich hinterher weinte und zitterte oder mich gegen ihn wehrte. Aber auch wenn ich einfach nur schlief konnte es vorkommen, dass er sich auf mich hockte und zuschlug, weil ich „faule Schlampe“ doch schließlich arbeiten solle.

Wann und wodurch ist Ihnen bewusst geworden, dass Sie ein ernsthaftes Problem haben?

Mir selbst ist leider erst zu Beginn der körperlichen Gewalt bewusst geworden, dass ich einen gewalttätigen Mann liebe. Hätte ich all das Wissen über non-physische Gewalt schon vorher gehabt, hätte ich von Anfang an meinem Bauchgefühl vertraut und mich gar nicht erst auf eine Beziehung eingelassen. So konnte ich mir erst Hilfe holen, als es fast schon zu spät war und ich beinahe mit meinem Leben, auf jeden Fall mit meiner psychischen und physiologischen Gesundheit bezahlt habe.

Konnten Sie sich Ihrem Freund mitteilen und Ihre Gedanken und Sorgen diesbezüglich artikulieren?

Ja, das konnte ich die ganze Zeit. Nur ging er nicht darauf ein, sondern untergrub jede Diskussion oder machte mir Vorwürfe, dass wir doch bereits darüber gesprochen hätten, wenn mich sein Verhalten weiterhin verletzte und ich Gesprächsbedarf hatte.

Haben Sie sich sofort anderen Vertrauenspersonen anvertraut?

Falls ja an wen und wie viel Überwindung hat es sie gekostet; und falls nein, warum nicht? (Alternativ: Wann konnten Sie sich anderen Personen mitteilen?)

Nein, weil ich Angst und Scham empfand. Zugleich war mein Exfreund anderen gegenüber sehr charmant, so dass ich immer dachte, dass die Gründe für sein Verhalten in mir und unserer Beziehung begraben seien. Erst als ich den festen Entschluss gefasst hatte, zu fliehen, konnte ich mich endlich anderen mitteilen. Mein erster Weg führte mich zur Polizei. Richtig Überwindung kostete es mich noch mal, mich dann meinen Eltern und schließlich auch anderen anzuvertrauen. Inzwischen gehe ich sehr offen mit dem Thema um, weil ich merke, dass die meisten Frauen davon betroffen sind und es sehr hilfreich ist, sich auszutauschen und zu solidarisieren.

Über welchen Zeitraum erstreckte sich die Beziehung und über welchen Zeitraum die erlebte Gewalt?

Die Beziehung dauerte 4,5 Jahre. Auch die Gewalt dauerte 4,5 Jahre. Während der gesamten Zeit habe ich psychische, verbale und emotionale Gewalt erlebt. In den letzten 1,5 Jahren kamen noch sexuelle und körperliche Gewalt hinzu.

Wie haben Sie sich im Laufe der Zeit in der Beziehung gefühlt, welche Stadien des Erlebens der Gewalt haben Sie möglicherweise mitgemacht und wie haben Sie sich in dieser Zeit verändert?

Zu Beginn der Beziehung war ich voller Liebe und sehr glücklich. Alles schien ja gut zu sein. Nach und nach wurde ich, ohne es direkt zu merken, immer unsicherer, instabiler und abhängiger. In den letzten Monaten lebte ich ihn ständiger Todesangst, fühlte mich ohnmächtig und zunehmend kraftlos. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren, traute mich kaum noch die Wohnung zu verlassen und hatte massive Schwierigkeiten, zu essen und zu schlafen. Ich habe in der Zeit sehr viel Gewicht zugenommen und auch eine schlechtere Haut bekommen. Erst in den letzten Monaten traute ich mich erstmals, Gegenwehr zu leisten. Allerdings liegt es mir völlig fern, Gewalt gegen einen geliebten Menschen auszuüben, deswegen ließ ich es bald wieder bleiben.

Warum sind Sie dennoch in der Beziehung geblieben?

Ich hatte die Hoffnung, dass er sich doch noch ändern würde, so wie er es ja immer wieder versprach. Meine Versuche, die Beziehung zu verlassen, endeten mit schlimmster Gewalt und einem Mordversuch. Deswegen erschien es mir – trotz allem ! – sicherer, in der Beziehung zu bleiben um zu überleben. Und ich dachte oft an die Anfangszeit zurück und wollte nicht das Risiko eingehen, dass er sich wieder von Mr. Hyde zurück in Dr. Jekyll – die Liebe meines Lebens –  verwandeln würde, ohne dass ich es noch mitbekommen würde. Zugleich waren die Phasen zwischen den Gewaltausbrüchen oft von viel Zärtlichkeit, Liebe, vermeintlicher Romantik, Wiedergutmachungs-Versuchen und ähnlichem geprägt, was das Weiterleben erträglich scheinen ließ. Ich war zudem auch in jeder Hinsicht sehr abhängig von meinem Exfreund – wir hatten eine gemeinsame Firma, gemeinsame Schulden, einen gemeinsamen Mietvertrag. Und mein Verantwortungsgefühl hinderte mich oft daran, ihn mit diesen Dingen allein zu lassen. Außerdem hatte ich Angst, dass er – wie oft angedroht – sich oder mich umbringen würde, wenn ich ihn verlassen sollte. Davon ist im Übrigen täglich in der Zeitung zu lesen.

Liebe mündet in Terror

Liebe. Horror. Bild: Karuka | depositphotos.com

Was denken Sie ganz allgemein, warum verhältnismäßig wenige Frauen Anzeige erstatten bei erlebter körperlicher Gewalt bzw. immer wieder zu ihrem Partner zurückkehren?

Zum einen sind diese Anzeigen sehr frustrierend. Ich fand es schwer, Glaubwürdigkeit zu bekommen, von Gerechtigkeit kann nicht einmal ansatzweise die Rede sein. Traumatisierte Frauen müssen sich punktuell und detailliert an konkrete Ereignisse erinnern. Das ist unmöglich, weil die Erinnerungen dissoziativ im Gehirn abgespeichert werden. Mir gelang dies nur anhand von Emails und Handynotizen. Und selbst das reicht nicht ohne das Geständnis des Täters oder die Aussagen von ZeugInnen aus. Das ist doch perfide: Partnerschaftsgewalt findet in den eigenen vier Wänden statt. Auch meine Erkrankungen – posttraumatische Belastungsstörung, mittelgerade Depression und Ängste – müssen erst in einen konkludenten Zusammenhang mit der erlebten Gewalt gebracht werden. Und selbst wenn all das erfüllt ist, sind die „Strafen“ eine Verhöhnung für uns Überlebenden.

Dass Frauen immer wieder zurückkehren hängt meiner Meinung nach zum einen mit dem Wunsch zusammen, dass er sich ja doch noch ändert, – und dieser Illusion von Liebe – vor allem aber mit der großen Abhängigkeit und der immensen Angst. Tatsächlich werden sehr viele Frauen unmittelbar nach der Trennung durch ihren Expartner ermordet. Viele haben gemeinsame Kinder, denen sie den Vater nicht nehmen wollen. Und die gesellschaftliche Ächtung oder fehlende Unterstützung können sicher auch dazu beitragen, dass Frauen beim Täter bleiben.

Welchen Bezug hatten Sie vor dem Erlebten zum Thema häuslicher Gewalt/Gewalt in Beziehungen?

Meine Eltern sind beide im sozialen Bereich tätig und haben mich frühzeitig für Süchte, Alkoholismus, psychische Erkrankungen etc sensibilisiert. In meiner Wahrnehmung betraf das aber immer nur Menschen aus zerrütteten Familien und aus eher bildungsfernen Milieus. In meinem persönlichen Umfeld kannte ich keineN BetroffeneN und hätte nicht gedacht, dass es in Wirklichkeit so ein weitreichendes Problem ist. Auch dass nicht nur blaue Veilchen (ich hatte nie eines!) zu Gewalt zählen und Gewalt nicht nur den Körper betreffen kann, war mir nie bewusst. Durch die Medien hatte ich immer den Eindruck, dass potentielle Täter zu Unrecht von rachsüchtigen Frauen beschuldigt werden. Ich hatte gar keine Ahnung von der Realität!

Oft wird häusliche Gewalt mit bildungsfernen Schichten in Verbindung gebracht.

Nach Ihrem Erlebten und dem Kontakt zu anderen Opfern: Wie verbreitet ist häusliche Gewalt auch in Bildungsschichten und warum wird dies Ihrer Meinung nach tabuisiert?

Nach meiner Erfahrung und dem Austausch mit anderen Betroffenen gibt es keine sozio-demographischen, kulturellen oder sonstigen Besonderheiten. Jede Frau kann von Gewalt betroffen sein. Viele in meinem Umfeld haben mir inzwischen erzählt, dass sie ebenfalls Gewalt erlebt haben. Tabuisiert wird es meiner Meinung nach einerseits, weil viele Täter in hohen politischen, juristischen, wirtschaftlichen oder journalistischen Ämtern sitzen.

Außerdem leben wir in einer Tätergesellschaft.

Ich denke, dass wir gerade in Deutschland echt ein riesen Problem damit haben, Täter und Opfer klar zu benennen und als solche anzuerkennen. Möglicherweise hängt das ja noch mit dem Nationalsozialismus zusammen. Hinterher gab es nur ein riesiges Schweigen und die Täter wurden noch in Schutz genommen, weil sie „Opfer“ des „Systems“ gewesen seien. Und gerade bei Gewalt bestehen oft unrealistische Stereotype. Ich wurde z.B. vom Mitarbeiter des Weissen Rings zuerst gefragt, ob mein Exfreund Osteuropäer sei. Viele Täter können sehr manipulativ und einflussreich sein. Opfern wird dann noch das Gefühl gegeben, uns für das schämen sollten, was uns angetan wurde. Aus Angst und Scham schweigen dann viele.

Ein anderes Vorurteil lautet, das häusliche Gewalt erst dann stattfindet, wenn es zu körperlichen Auseinandersetzungen kommt.

Aus Ihrem persönlich Erlebten heraus und dem Kontakt mit anderen Opfern: Welche Formen von Gewalt in Beziehungen gibt es, wodurch unterscheiden sich diese und wie wirken diese in aller Regel auf die Opfer?

Nein. Zum einen stört mich der Begriff der „häuslichen“ Gewalt. Nicht das Haus, sondern der Partner übt Gewalt aus. Deshalb sollten wir auch von Partnerschaftsgewalt sprechen. Es gibt meines Wissens nach unterschiedlichste Gewaltformen. Allen gemein ist, dass jede Partnerschaftsgewalt mit psychischer Gewalt anfängt. Das Opfer wird erstmal in einen Hormonrausch versetzt. Gewalt beginnt mit Liebe und nicht mit einem Fremden, der einem in der dunklen Gasse auflauert. Dann wird man immer mehr destabilisiert und es finden erste Mikroangriffe statt, die immer heftiger und häufiger vorkommen. Der Täter bringt das Opfer immer mehr unter seine Kontrolle und schafft auf diese Weise eine Abhängigkeit. Wenn der erste Schlag einsetzt, ist dem schon ein großes Maß an Gewalt vorangegangen. Unterscheiden würde ich diese insofern, als dass ich die körperliche Gewalt als lebensbedrohlicher wahrgenommen habe – andererseits konnte ich so erstmals erkennen und benennen, dass es sich überhaupt um Gewalt handelt.

Wie verbreitet sind diese Formen von Gewalt in Beziehungen Ihrer Meinung nach?

Weitaus verbreiteter als die meisten Menschen denken. Soweit ich weiß, trifft es 3 von 5 Frauen. In zahlreichen den Beziehungen findet psychische Gewalt statt. Die Täter sind überwiegend männlich und die Opfer weiblich. Der Grund sind aber keine biologischen Ursachen, sondern resultiert aus der geschlechtsspezifischen Sozialisation.

Erleben Täter insbesondere verbale und psychische Gewalt wie Kontrollwahn, Schweigen etc. überhaupt als solche oder fehlt hier ein Schuldbewusstsein?

Täter haben kein echtes Schuldbewusstsein. Ich denke, in dem Moment in dem Täter anfangen, die Verantwortung zu übernehmen und Opfer aufhören, sich selbst die Schuld zu geben, kommen beide aus ihren Rollen als Täter und Opfer raus. Der Täter braucht auch kein Schuldbewusstsein, denn er hat ja das Opfer, dem er für alles die Schuld in die Schuhe schieben kann. Deswegen reagieren Täter auch so heftig, wenn sich das Opfer entzieht und unternehmen alles, um es zurück zu gewinnen.

Warum ist dem so?

Ich denke, dass Täter oft Opfer oder Zeugen waren und das Täterverhalten übernommen haben. Unsere Gesellschaft, auch die Medien, zeigen uns überall ein Bild, das aus Frauen Objekte macht. Beispielsweise in sexistischer Werbung, in Filmen, in Pornographie und dem System der Prostitution. Dadurch ist es für Männer offenbar Teil des Selbstkonzeptes, dominant und überlegen zu sein und die eigenen Interessen über alle anderen zu stellen und gewaltsam durchzusetzen. Gegenüber der eigenen Partnerin genauso wie gegenüber indigenen Völkern oder der Umwelt. Hier wird ein völlig falsches Bild vermittelt. Frauen lernen zudem nicht, sich effektiv zu verteidigen – beispielsweise durch WenDo-Kurse in Schulen – vielmehr werden sie zu Opfern erzogen. Da hängen eben die letzten Jahrtausende noch tief in unserem System.

Wie sollten Opfer von Gewalt in Beziehungen Ihrer Erfahrung nach reagieren?

Alles notieren, was vorfällt. Möglichst genau. Dann so schnell wie möglich die Beziehung beenden und sich Hilfe suchen. Eine tolle Möglichkeit ist es, sich mit anderen Opfern zusammen zu tun und über das zu reden, was man selbst erlebt hat. Dadurch versteht man, dass man nicht alleine ist und keine Schuld trägt. Noch gibt es ein breites Angebot an Frauenberatungsstellen, Therapien, Selbstverteidigungskursen, Online-Foren wie re-empowerment, One Billion Rising und so weiter, wo es jede Menge Hilfe gibt. Wichtig ist, entschlossen zu handeln und gut für sich selbst und für die eigene Sicherheit zu sorgen. Ich fände es am besten, wenn Opfer schon dann die Beziehung beenden, wenn sie merken, dass sie bereits psychische Gewalt erleben und nicht erst, wenn es Schläge gibt.

An welche Stellen und Personen sollten sie sich wenden?

An die Polizei, an FreundInnen, die eigene Familie (kommt natürlich darauf an, wer der Täter ist), an erfahrende TraumatherapeutInnen, den Frauennotruf, die Frauenhäuser, WenDo-Kurse, re-empowerment. Diese Anlaufstellen haben mir sehr viel Hilfe geboten und viel Kraft für die Heilung gegeben.

Was können Paare gerade im Anfangsstadium einer Beziehung tun, um Gewalt vorzubeugen?

Grundsätzlich denke ich, dass sich beide Partner sehr bewusst über Frauen- und Männerrollen austauschen sollten. Zum Beispiel mit Hilfe von feministischen Büchern wie „das andere Geschlecht“ und auch wirklich offen darüber reden müssen, wie umfassend Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist. Nur wenn beide bewusst und reflektiert sind, ist eine gesunde Partnerschaft meines Erachtens nach möglich.

Wenn Gewalt vorkommt, hilft nur eine klare Grenze zu setzen. Am besten in Form von einer sofortigen Trennung oder Beziehungspause. Ich weiß nicht, inwiefern die Täter etwas machen können. Möglicherweise helfen Anti-Aggressions-Trainings oder Therapien. Aber (und das muss völlig klar sein!) nicht immer kommt ein Täter aus seiner Täterrolle raus und dann macht eine Beziehung unter keinen Umständen Sinn. Die Betroffene sollte schnell aus der Beziehung raus, sich informieren und über das bewusst werden, was sie da gerade erlebt hat und froh sein, rechtzeitig den Absprung geschafft zu haben.

Weg von der "Liebe" in echte Freiheit

Weg in die Freiheit. Bild: vitomirov | www.depositphotos.com